Spiele in einem kontemporären Kontext zu sehen oder zu “testen” ermöglicht immer neue Sichtweisen und Denkanstöße. Unsere Ansprüche ändern sich und es ist immer interessant zu sehen, wie sich unser damaliges Lieblingsspiel heute schlägt. Diese Reihe thematisiert eben dieses Phänomen, stellt fünf Spiele vor, die ich in meiner Kindheit spielte und stellt sie nochmals auf den Prüfstand. In Teil 2 der zweiten Staffel geht es um das fantastische Dino Crisis.
Bereits in der letzten Staffel der „Retro“-Reihe habe ich Dino Crisis 2 erwähnt. Es war nur eine Frage der Zeit bis auch sein Vorgänger einen gebührenden Platz auf dem Blog erhält. Capcoms Dino-Shooter kam erstmals 1999 auf den Markt und schnell stellte sich heraus, dass Zombies durch Dinos zu ersetzen ein lohnendes Geschäft ist. Der Vorfall mit der mysteriösen dritten Energie, die den zweiten Teil bestimmt, kommt hier erst ins Rollen. Eine Spezialeinheit soll den Energieforscher Dr. Kirk ausfindig machen. Zu dieser Einheit gehört die beeindruckende Regina. In einem Spiel, das mal Action-Adventure, mal Survival Horror ist, stellt sie ihr Können unter Beweis und erlebt mit uns die urzeitlichen Kreaturen sowie knallharte Rätsel hautnah. Jedenfalls kamen mir die Rätsel damals fordernd vor. Und eigentlich habe ich mich aufgrund einiger Jump Scares nie getraut das Spiel selbst zu spielen. Ich habe zugeguckt und andere die Dinos erschießen lassen, nur die Rätsel waren so wirklich meins. Im Rahmen dieser Reihe habe ich mich dann doch an das Spiel gewagt, und was soll ich sagen… So schrecklich ist es gar nicht.
Den ersten der Truppe trifft es gleich am Anfang, zurück bleiben drei charismatische Archetypen: der sture und kaltherzige Leader Gail, der Witzbold und kameradschaftliche Rick und der eigentliche Held, Regina – ich bin sicher nicht die einzige, die dabei an den Anfang von Resident Evil 1 denken muss. Als erstes muss die Lage sondiert werden, doch schnell stellt sich heraus, dass auf Ibis Island so einiges nicht so ist, wie es sein sollte. Die dramatische Inszenierung, spannungsgeladene Musik zu verpixelten Bildern (die für damalige Verhältnisse echt verdammt gut animierten Dinos zeigten – bei den Menschen fehlt jede Art von Mimik oder gar separate Finger) tragen dazu bei, dass trotz des Alters des Spiels auch heute noch irgendwie Stimmung aufkommt. Ich sage irgendwie, da mir nicht klar ist, ob ich das generell in den Raum werfen kann. Für mich persönlich (und darum geht es in diesem Artikel ja eigentlich) ist das Spiel sehr stimmungsvoll und spannend. Verlassene Gebäude und die im Hinterhalt lauernde Bedrohung kreieren eine unwiderstehliche Atmosphäre. Spielerisch orientiert sich Dino Crisis an den Survial-Shootern seiner Zeit, hat aber erstaunlich wenig Schlauchleveldesign und sogar relativ viel Entscheidungsfreiheit. Zahlen, Schlüssel, Passwörter… Den Weg muss man sich primär frei denken statt schießen und Platz im Gepäck ist knapp, was das Überleben trotz ausreichender Ressourcen erschwert. Auch das Mixen der Gegenstände bringt nur wenig, obwohl es den Spieler entscheiden lässt, ob er aggressiv oder defensiv spielen will. Im Grunde zwingt es den Spieler sogar zu einer Entscheidung, denn es gibt nicht genug Platz für genug Heilung UND genug Munition. So oder so: Dino Crisis ist ein Survival Horror Titel der alten Schule und ist heute eine willkommene Abwechslung zu Spielen gleichen Genres, die mittels Splatter, Gore, schockierenden Bildern und Jump Scares versuchen gruselig zu sein. (Ja, ich schaue auf dich, Outlast!)
Die bekannte Raptorenkralle, die so auffordernd und aggressiv und vor allem so herrisch da steht, hat mir so manches Mal Angst gemacht, heute nicht mehr! Ich habe das Spiel durchgespielt, ich habe es besiegt und war angenehm überrascht. Es gibt drei Enden, je nachdem für welche Aktion man sich entscheidet und welchen Weg man geht. Hinter einem steckt die Wahrheit, hinter anderem das Überleben aller, hinter dem letzten keines von beidem. Nicht zuletzt die unterschiedlichen Spielweisen, die das Spiel dem Spieler anbietet, laden zum erneuten Spielen ein: Neben den drei verschiedenen Endings bietet Dino Crisis dem Spieler neue Skins und eine Grenade Gun nach (ggf. mehrmaligem) Beenden der Mission.
Schafft man es gar das Spiel durchzuspielen ohne ein „Continue“ zu verwenden (beispielsweise indem man immer genug Wiederbelebungen dabei hat oder einfach gut ist), belohnt das Spiel diesen Einsatz mit dem Wipe Out Modus.
Nach knapp sechs Stunden ist es jedoch vorbei. Sechs Stunden in denen das Spiel zwischen Action und Rätseln schwankte, in denen man immer mal wieder zurück laufen und nochmal in ein Dokument gucken musste oder plötzlich das Passwort für den ein oder anderen Safe hatte. Sechs Stunden, die dem gleichen Spielprinzip folgten und langweilig hätten sein können, aber durch eine immer wieder mit Wendungen gespickte Story abwechslungsreich blieben. Es erinnert stellenweise stark an Resident Evil (was dank gleichem Schöpfer – Shinji Mikami, sei er gepriesen – und Publisher kein Wunder ist), das Wechseln der Areale, die Kamera, die Story und Charaktere. Sogar die Panzersteuerung, gerenderte Hintergründe und schöne Cut Scenes sind vorhanden. Obwohl man schnell zu dem Schluss kommen kann, die Entwickler hätten von sich selbst abgekupfert, konnte sich Dino Crisis als eigenständige Reihe etablieren und ist kein lauwarmer Abklatsch.
Nun wollte ich mir in dem Artikel die Frage stellen, was sich an meiner heutigen Sicht auf das Spiel geändert hat. Fest steht jetzt schon, dass sich etwas verändert hat und da es offensichtlich nicht das Spiel sein kann, habe ich mich verändert (auch offensichtlich). Dino Crisis spielt sich heute anders als ich es in Erinnerung habe. Das Spiel ist weniger bedrohlich und weniger kompliziert, auch wenn ich heute immer noch Herzrasen bekomme, wenn ich die Dinos hören, aber nicht sehen kann und nur noch einen Giftpfeil habe. Dass es weniger fordernd ist, mindert jedoch nicht den Spielspaß, es motiviert mich mehr denn je es weiter zu spielen (was nicht zuletzt daran liegt, dass ich sehr schnell und gerne rage quite). Zudem hat es einen Wiederspielwert, nicht nur durch die Entscheidungsfreiheit, die mich jedes Mal wieder überrascht. Hinzu kommt der Verlust von Erinnerungen, sodass es eigentlich logisch ist, dass wir Spiele, auch wenn wir sie komplett gleich spielen, anders sehen. Das ist eine verworrene Art zu sagen, dass wir uns verändern, älter und „weiser“ werden und es sich deshalb lohnt nach langer Zeit noch einmal das alte Lieblingsspiel raus zu holen.* Darüber hinaus lohnt es sich sowieso immer Dino Crisis mal gespielt zu haben.
* Vielleicht kann ich das in dem nächste Woche erscheinenden dritten Teil der Reihe besser ausführen. Immerhin ist diese Reihe mehr Prozess als Statement.
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