Episode 1: Chrysalis zeigte uns nur die Spitze des Eisbergs und ließ uns erahnen und mutmaßen, was wirklich in Arcadia Bay vor sich geht. Aber eigentlich haben wir nur einen kleinen Blick erhaschen können, ein kleiner Ausschnitt dessen, was passiert. Episode 2: Out of Time bringt den Eisberg zum Schmelzen und offenbart noch mehr, ohne jedoch uns völlig zu erleuchten.
Gegensätze ziehen sich an
Wir beginnen einen Tag nach Episode 1, ein wunderschöner Herbsttag, der jede Kulisse zu einem gelungenen Screenshot werden lässt. Wir erleben ein bisschen College-Alltag inklusive Drama und die Charaktere werden noch weiter vertieft und differenzierter skizziert. Im Gegensatz zur ersten Episode, setzt das Spiel hier mehr auf kleine Spielchen, die die Kraft, die Max in Episode 1 entdeckt, weiter austesten sollen und den Spieler dazu auffordern das Gesehene zu verinnerlichen, um wirklich etwas verändern zu können. Die Story wird dadurch nur minimal weiter geführt, allerdings erfährt der Spieler weitere Dinge, die jeder für sich ein winziger neuer Hinweis sind und zu Erklärungsversuchen führen. Allerdings besteht Episode 2 auch nicht nur aus langweiligen Ereignissen, viel mehr holen wir Ereignisse auf, die sich während Max‘ Abwesenheit ereignet haben und wir lernen mehr über die Bewohner von Arcadia Bay und deren Hintergründe.
Nicht viele Spiele schaffen es mich stundenlang zu bannen, bei Life is Strange kamen mir die 3-4 Spielstunden vor wie nur wenige Minuten und ich bereue es so durch gehastet zu sein, wie die Majorität der Spiele es suggeriert. Aber Life is Strange bringt uns runter, bringt alles auf eine ganz neue Ebene und lässt uns genug Zeit, alles in Ruhe zu erkunden. Und so sehen wir Schätze, kleine Details und Hinweise, die das Spiel vollkommen machen und Arcadia Bay zum Leben erwecken. Auch die Charaktere profitieren von dem Spielprinzip, der Story und der Stimmung des Spiels. Denn mit der Grafik und den Animationen allein, wäre das Spiel in Episode 2 nicht ausgekommen, hier und da wirkt es matschig und nicht ganz auf dem neusten Stand, auch die Synchronisation ist leicht daneben, auch wenn die Sprecher selbst überzeugend sind. Angesichts der Spannung verblassen solche Mängel jedoch.
Fahren wir noch auf dem gleichen Gleis?
Life is Strange lebt von seiner Story, der Stimmung und Atmosphäre, die zugleich Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit vermittelt und durch das wiederkehrende Element der Fotografie und Max‘ Kraft kleine Hoffnungsschimmer gibt. Doch wie ein Schatten hängt das Verschwinden einer Schülerin über den gegenwärtigen Ereignissen und mit der Verbreitung eines „viral videos“, das die Demütigung und Denunzierung einer weiteren Schülerin zur Folge hat, ist nicht nur ein dramatischer Ausgangspunkt geschaffen, sondern gleichsam skizziert es die realen Probleme, mit denen manche tagtäglich zu kämpfen haben. (Für diejenigen, die von ähnlichen Ereignissen betroffen sind, wie sie in Life is Strange dargestellt werden, bieten die Entwickler Hilfe an) Obwohl eher wenige von uns die Zeit zurück drehen können, schafft es Life is Strange, dass Spieler sich mit den Protagonisten bis zu einem gewissen Grad identifizieren können und so noch mehr in die Story hineingezogen werden und sich von der Stimmung beeinflussen lassen. Life is Strange ist kein normales Spiel, es hat dafür viel zu viele filmische Elemente. Ein interaktiver Film, der ebenso aufhört wie die vorherige Folge, die Antagonisten zeigt und scheinbar ein kleines Stück mehr offenbart und verheißungsvoll in einen schwarze Bildschirm über geht.
Oder haben wir die Weichen für unser Schicksal bereits gestellt?
Entscheidungen zu treffen wird immer schwerer, da immer weniger ersichtlich ist, welchen Einfluss sie später haben werden und was das Richtige ist. Zudem wird dem Spieler jedes Mal sehr deutlich vor Augen geführt, dass seine nächste Entscheidung bestimmend für den weiteren Spielverlauf ist und wirklich etwas davon abhängt, das unumkehrbar ist (sobald man den Spielabschnitt verlassen hat und die Zeit nicht mehr dorthin zurück drehen kann). Schnell macht sich ein gewisses Gefühl der Hoffnungslosigkeit breit, das uns im wirklichen Leben auch heimsuchen sollte, doch die Tragweite unserer Entscheidung wird uns im Spiel viel eher bewusst und trotz der Tatsache, dass wir diese Kraft haben und uns sofort neu entscheiden könnten, bleibt ein Gefühl der Ungewissheit, denn was genau als nächstes passiert, kann man bei diesem Spiel beim besten Willen nicht erahnen. Life is Strange führt bewusst in Sackgassen, lässt uns Dinge erahnen, die schon in der nächsten Stunde vollkommen irrelevant oder falsch erscheinen. Das Spiel spielt mit uns und wir mit ihm, indem wir alles austesten, erkunden und neu erforschen und ihm jedes Mal die Schnelligkeit und den Druck nehmen, wenn wir die Zeit zurück drehen.
Überall Schmetterlinge. Das erinnert mich an Einstein.
Die Gesamtheit der Geschehnisse lässt sich immer noch nur schwer begreifen. Das Problem bei vielen Episodentiteln ist, dass in der zweiten oder spätestens der dritten Episode die Spannung verfliegt und die Episode nur als Füllraum dient, um später auf ein großes Finale zu intendieren. Bei Life is Strange ist dem erstmal nicht so. Hier wird die Story zwar nur marginal weiter erzählt, dafür wird ein ganzes Stück Drama und Spannung erzeugt, das den ersten Teil überbietet, der retrospektiv nur als sanfte Einleitung in das Spielprinzip und die Geschichte erscheint. Wir erfahren einiges neues, können aber immer noch nicht hinter den Schleier des idyllischen Städtchens gucken und folgen weiterhin dem Weg, den das Spiel uns vorgibt. Was bei vielen anderen Titeln ein Problem wäre, wird in Life is Strange zu einem Erlebnis. Geradlinigkeit ist das, was das Spiel zusammen hält und dennoch haben wir genug Freiraum durch die große Entscheidungsfreiheit. Wir kommen zwar so oder so an die gleichen Orte, doch was dort passiert, hängt ganz allein von uns ab. So wird Life is Strange nicht nur individualisiert, sondern beschert sich selbst einen hohen Wiederspielwert.
Trotz der ganzen Dramatik und Theatralik, die diese Episode bietet, wirkt es doch romantisch und verträumt. Arcadia Bay sieht aus wie eine gemütliche kleine Küstenstadt, deren Leuchtturm als Zeichen des Unnahbaren und Geheimnisvollen die Geschichte bildlich untermalt, die noch unentdeckten Geschehnisse verschleiert, und deren Sonnenuntergänge zeigen, wie schön die Ruhe vor dem Sturm sein kann.
Episode 3: Chaos Theory erscheint im Mai 2015.