Hinreißender Horror – Teil 2

Über die Anziehungskraft von Angst, geniales Grauen und noch weitere Alliterationen, die mit Survival-Horror und dessen wieder entdeckter Faszination zu tun haben.

Oder war Survival-Horror doch nie wirklich außen vor? Ein kurzer Abriss der Historie des Genres, aktueller Titel und Klassiker und eine Theorie wieso Horror einen plötzlichen Aufschwung erlebt (oder vielleicht auch nicht?) – in drei Teilen. Hier Teil 2 über die Entwicklung des Genres hinsichtlich Gameplay, der Frage wieso gerade jetzt so viele große Titel in diesem Genre erscheinen und weshalb ein beklemmendes Gefühl und vollkommen legitime Paranoia eine so große Faszination ausüben.

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Auch wenn sich Gegnerdesign verändert hat: Kopfbedeckungen bedeuten meistens, dass die Kacke am Dampfen ist…

Dieser Tage erscheinen vermehrt Titel, die nicht nur von Indieentwicklern stammen, sondern auch von großen und altbekannten Namen wie Shinji Mikami und Hideo Kojima (näheres dazu in Teil 1). Beide waren maßgeblich an zwei der bekanntesten Survival-Horror-Serien beteiligt. Grund genug um beide Serien, ihre Ableger und die jetzt erschienenen bzw. demnächst erscheinenden Titel näher zu betrachten und zu vergleichen inwiefern sich das Genre verändert hat.

Spiel und Film – eine zerfließende Grenze

Silent Hill sah immer dreckig aus, als hätte seit Jahrzehnten niemand mehr diesen Ort betreten, jedenfalls nichts menschliches. So ähnlich blutarm, dafür dreckreich sieht es auch in P.T. aus und wir nehmen erstmal an, dass der Teaser wenigstens ein bisschen Ähnlichkeit mit dem darauf folgendem Spiel hat (auch wenn Kojima ihn mit Absicht nach einer Low Budget Produktion hat aussehen lassen). Des Weiteren konnte man die Geschehnisse und selbst die Gegner nie wirklich erklären, sie waren immer eher metaphorisch gedacht. Das Übernatürliche an ihnen ist geblieben, aus Krankenschwestern und anderen bizarren Gestalten wurde jedoch eine Geisterfrau; zunächst scheint das ein Rückgang zu sein von überdurchschnittlich abgedreht zu klischeehaft. Was im finalen Spiel daraus wird, bleibt abzuwarten. Ausgehend von P.T. wird es dort wohl mehr Schreckmomente geben, denn anstatt die Gegner direkt zu sehen (jedenfalls jene, die wir erschießen können, nicht die, die in unserem Kopf sind), ist es eher ein bedrückendes Gefühl beobachtet zu werden. Damit nähert sich das Spiel an Filme an, will eher subtil ein Gefühl von Angst vermitteln und setzt dabei primär auf akustische Penetration und das Wissen, dass etwas nicht stimmt.

pyramid head sucks

…wie gehabt. Kopfbedeckungen. Und die Fantasie der Spieler bewirkt wahre Wunder.

Resident Evil hingegen ist eine Reihe, die sich sehr offensichtlich geändert hat und deren Entwicklung viele argwöhnisch begutachten. Im Laufe der Jahre hat sich nicht nur die Steuerung und die Perspektive geändert (letzteres mit Resident Evil 4 von einer starren Vogelperspektive zu einer über dem Spieler positionierten Kamera): es kamen immer absurdere Figuren (von Zombies und genmutierten und in Folge dessen nur übergroßen Tieren und ab und zu Fleischfesseln zu noch mehr Fleischfesseln, Parasiten, die den Körper zur Hälfte verlassen und Dingen, die man gar nicht aussprechen mag). Außerdem gab es einen sehr drastischen Anstieg an Action und weniger angespannte Stille, weniger Rätsel, aber dafür vermehrter Waffengebrauch trotz gleichbleibendem Munitionsmangel (jedenfalls für jene, die nicht viel Erfahrung damit haben Gegner auf alternative Weise zu töten, um Munition zu sparen). Insbesondere Resident Evil 6 wollen viele nicht mehr zum Survival-Horror zählen, sondern zu einem von vielen Actionspielen oder Shootern. Gleiches gilt für Resident Evil 4, in dem es viele Areale gibt durch die man sich stumpf durchschießen muss und die Rätsel höchstens ein Kind überfordern. The Evil Within bietet wieder „menschlichere“ Gestalten, die aber aufgrund ihrer spezifischen Merkmale und Eigenschaften alles andere als in diese Welt gehören. Zudem scheint es ebenfalls eine gute Portion Action zu haben, es mangelt dennoch nicht an gruseligen Momenten und furchteinflößenden Szenen. Leider gibt es auch hier Szenen, die nicht mehr Survival-Horror sind, sondern schiere Diskreditierung des Spielers. Letztendlich lassen sich kaum noch Gemeinsamkeiten zwischen den Anfängen der Reihe und den heutigen Ergüssen der Schöpfer aufzeigen, der einzige gleichbleibende Faktor ist die Angst und das Unbehagen, das sie verbreiten (jedenfalls bei Menschen mit durchschnittlichen Gefühlen). Denn auch wenn mittlerweile das Gefühl der Einsamkeit und Hilflosigkeit nachgelassen hat, so wünsche ich mir dennoch nicht in einer Stadt voller Zombies aufzuwachen.

Weitere Entwicklungen, die das Genre erfahren hat, sind beispielsweise Schauspieler als Vorlage für die Charaktere, wie Norman Reedus als Protagonist in Silent Hills (ein generelles Phänomen der Branche) und das vermehrte Vorkommen kostenloser oder günstiger Spiele, die zwar klein und wenig aufwendig sind, aber dafür sehr gezielt ihren Zweck erfüllen.

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Norman Reedus in P.T.

Die Faszination am Fürchterlichen

Bei all dem, was diese beiden Beiträge bisher erklärt haben, fällt es (besonders Außenstehenden) schwer sich vorzustellen sich so einer geistigen Knechtung freiwillig zu unterziehen und sich freiwillig in eine Gaming-Hölle zu begeben, die die schlimmsten Albträume wahr werden lässt.
Ein ausschlaggebender Faktor ist und bleibt die Story: fast jeder Survival-Horror-Titel setzt auf einen guten Hintergrund, um den Spieler trotz schrecklicher Erlebnisse weiterhin zu motivieren. Uns hat doch alle interessiert wieso James Sutherland nach Silent Hill zurück gekehrt ist und dort diese wahnhaften Dinge erlebt hat oder was Umbrella Corporation noch alles verbrochen hat. Im Zuge dessen ist auch die Neugier ein wichtiges Element, das (fast) jeden wimmernden Spieler sein Ziel verfolgen lässt. Spielerischer Entdeckerdrang oder aber die Neugier wieso ein Spiel so faszinierend ist, hält uns dabei. Wenn schon die Story schnöde ist und wir eigentlich keine Lust haben schon wieder eine Anstalt zu durchforsten, dann tun wir es oft doch, nur um heraus zu finden was andere daran so toll daran fanden und wieso dieses Spiel so viel Faszination ausübt.
Ein zusätzlicher Punkt ist, dass die meisten großartige Spiele sind mit kniffligen Herausforderungen für die es sich lohnt ein bisschen Angst zu haben. Die Tatsache, dass mit wenigen Mitteln eine unglaublich zerreißende Atmosphäre aufgebaut werden kann und diese durch Schreckmomente unterbrochen wird und die ganze Aufmerksamkeit des Spielers fordert, macht Survival-Horror-Titel so beeindruckend. Sie sind nicht nur spielerisch anspruchsvoll (der Name sagt es, es geht um’s Überleben) durch Munitions- und Heilungsknappheit, sondern auch emotional, da diese ständige psychische Belastung durch entsprechende Hintergrundmusik, knappe Lichtverhältnisse, schwierige Kameraeinstellungen mit vielen toten Winkeln und das Wissen um eine unbekannte oder wenigstens überlegenere Gefahr, die irgendwo lauert oder omnipräsent ist und den Spieler bei jeder seiner Handlungen verfolgt.

Würde es uns auch gefallen, wenn es uns tatsächlich passieren würde? Wohl eher nicht. Es ist mit Survival-Horror-Spielen wie mit Literatur oder Film: es berührt uns auf einer geistigen Ebene, wir fiebern mit und haben vielleicht sogar Angst, wenn das Spiel aus, das Buch durch oder der Film zu Ende ist, lässt es uns aber kalt. Es sei denn es war ein sehr gutes Medium, das es in sich hatte. Aber körperlich ist es uns egal. Spiele sind mitunter wie interaktive Filme: die Handlung folgt unaufhaltbar einem unsichtbaren Strang und wir können nur versuchen uns mittreiben zu lassen und nicht zu sterben. Wir werden Teil einer alternativen Welt und ohne dabei Schaden zu nehmen können wir uns an unsere Grenzen stoßen lassen und ausloten zu was wir bereit sind und wie viel wir ertragen. Es geht um die Erfahrung, die wir dabei erleben, das Grauen, das wir sonst nicht erleben würden (Gott bewahre!) und die Faszination, die es ausstrahlt. Ebenso wie vieles andere, das wir niemals haben werden und doch begehren, so sind es hier Erfahrungen.
Natürlich lässt sich nicht pauschal sagen, dass auf jeden Spieler jeder dieser Punkte zutrifft, es sind lediglich Vermutungen weshalb sich Menschen freiwillig einer solchen Farce aussetzen. Und doch sind manche von ihnen unbestreitbar.

Im nächsten Teil beantworten wir endlich die Frage was genau Survival-Horror ist. In der Hoffnung am Ende einer solchen Analyse anhand von drei Beispielen eine passende Definition zu finden.